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Kommunikations-Strategien

Kommunikation mit anderen – In Gesprächs-Situationen… 

Hörgeräte verbessern die Möglichkeiten schwerhöriger Menschen, am sozialen Leben teilzuhaben, können ein gesundes Gehör aber nicht ersetzen. Zusätzlich zum Tragen von Hörgeräten kann es für schwerhörige Menschen daher sinnvoll sein, in Gesprächs-Situationen Strategien anzuwenden, die ihnen das Verstehen erleichtern bzw. ihren Gesprächs-Partnerinnen und -Partnern ermöglichen, besser auf ihre Hör-Bedürfnisse einzugehen. 

Im AutaRK-Fragebogen konnten die Befragten angeben, welche Kommunikations-Strategien sie anwenden.

Nachfragen 

Die Daten aus unserer Befragung zeigen, dass nahezu alle Befragten in Gesprächs-Situationen nachfragen, wenn sie etwas nicht verstehen.

Informationen an Gesprächs-Partner und -Partnerinnen 

Etwa zwei Drittel der Befragten bejahten die Aussage, dass sie im Gespräch darauf hinweisen, dass sie trotz Hörgeräten Schwierigkeiten mit dem Verstehen haben können.  

Knapp über die Hälfte der Befragten gibt an, Informationen zu einem besseren Gesprächsablauf zu geben. 

Wiederholen 

Etwa zwei Fünftel geben an, dass sie wiederholen, was sie verstanden haben (um abzusichern, dass sie richtig verstanden haben). Ein Fünftel der Befragten gibt an, darum zu bitten, dass aufgeschrieben wird, wenn etwas für sie unverständlich ist.  

Umgebung optimieren 

Etwa ein Viertel der Befragten (26 %) bittet, dass Störgeräusche wie z.B. Musik in Restaurants abgestellt werden.

Rückzug  

Und etwa ein Drittel der Befragten gibt an, sich aus dem Gespräch zurückzuziehen, da sie doch nicht alles verstehen. 

Selbsteinschätzung der Schwerhörigkeit – Nutzung der Strategien 

Die Befragten, die sich selbst als stark schwerhörig einschätzen, nutzen besonders häufig die jeweiligen Kommunikations-Strategien. 

 

Kommunikations-Strategien Fragebogen-Daten im Überblick 

Datengrundlage für die Auswertung sind die N = 170 Teilnehmenden zwischen 55 und 94 Jahren. In den TabellenKommunikations-Strategien“ sind die Angaben der Befragten zu diesem Aspekt zusammengefasst (siehe Abbildungen rechts oder Tabellen als PDF-Dokument).  

Kommunikations-Strategien und Geschlecht  

An der Fragebogen-Erhebung haben sich gleich viele Frauen und Männer beteiligt. Im Hinblick auf das Geschlecht zeigten sich bei den genannten Strategien keine signifikanten Zusammenhänge (Chi-Quadrat-Test; p>0,05).  

Kommunikations-Strategien und Alter 

Im Hinblick auf das Alter zeigte sich, dass die Strategie „Ziehe ich mich zurück, weil ich doch nicht alles verstehe“ mit zunehmendem Alter häufiger gewählt wird (Chi-Quadrat-Test; p<0,05). 

 

Kommunikations-Strategien der Interviewten

Die interviewten Betroffenen verwendeten in ihrem Alltag sämtliche im AutaRK-Fragebogen aufgeführten Kommunikations-Strategien und mehr – eine anschauliche Übersicht zu den quantitativen und qualitativen Daten hierzu haben wir in einem Online-Poster zusammengestellt (Link zum PDF).

Außerdem haben wir unter Tipps und Strategien von schwerhörigen Menschen für schwerhörige Menschen eine Auswahl von Strategien gesammelt, die sich aus Sicht unserer Interviewten in verschiedenen Alltags-Situationen bewährt haben: in der Familie, im Arbeitsalltag, im Restaurant, im Konzert, Theater und bei Vorträgen, in der Arzt-Praxis oder beim Aufenthalt im Krankenhaus.

Während wir nun unter Tipps und Strategien alle Strategien unserer Interviewten aufführen, die dazu beitragen, im täglichen Leben – über regelmäßiges Tragen der Hörgeräte hinaus – besser zu verstehen, wollen wir im Weiteren noch auf diejenigen Strategien eingehen, die schwerhörigen Menschen zwar kurzfristig das Leben leichter machen, wenn sie sehr oft angewendet werden, aber langfristig negative Folgen haben können.

 

Kontraproduktive Kommunikations-Strategien

Die 85-jährige Gisela L.* erinnert sich zurück an die Zeit, als ihr Gehör bereits spürbar nachgelassen hatte, sie aber noch keine Hörgeräte trug:

„Wenn die Kollegen mich was gefragt haben, dann hab ich das nicht verstanden. Hab ich nochmal gefragt und dann hab ich’s immer noch nicht verstanden – hab ich aber genickt, als wenn ich’s gehört habe.
Und dann hab ich hinterher manchmal ne Frage gestellt, die sie vorher schon von mir sozusagen beantwortet hatten. Hab ich die Frage nochmal gestellt, dann haben sie gesagt, hörst du schwer?“
(Gisela L.* | 85 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int08, Pos. 134)

Praktisch alle schwerhörigen Menschen, mit denen wir gesprochen haben, kennen solche Situationen. Ein selbst betroffener Experte für Hörbeeinträchtigungen geht normalerweise sehr offen mit seinen Hör-Problemen um, doch auch er hat (vor allem in der Vergangenheit) schon öfter so getan, als ob er verstanden hätte – er hat sogar eine gewisse Meisterschaft darin entwickelt:

„Ich bin Meister darin, ich kann ne halbe Stunde lang mit einem Menschen reden, ohne ein Wort zu verstehen und der merkt nicht, dass ich fast nichts verstehe. […]
Das war früher immer so mein Alltag. Du bist abends irgendwo, das ist laut, […] [jemand] will mit dir reden und du willst auch nicht sagen: Hä? […] Und dann schnappst du mal ein Wort auf, wo du wirklich verstehst, und da stellst du zu dem Wort ne Frage und dann denkt der sich, oh, wie gut wir uns verstehen.“
(Kai A. | 60 Jahre | Int26, Pos. 316-320)

Die Betroffenen sind sich (mitunter schmerzlich) bewusst, dass solches Verhalten ein hohes Risiko für Missverständnisse mit sich bringt. Nicht selten führt das auch zu Konflikten in Familien-, Freundes- oder Kollegen-Kreis (mehr dazu siehe auch Kapitel Einfluss der Angehörigen).

 

Warum viele irgendwann nicht mehr nachfragen

Andererseits fühlt es sich für viele irgendwann „zu blöd“ an, wenn sie im Alltag immer und immer wieder nachfragen müssen. So beschränkt sich der 69-jährige Jürgen I.* mit dem Nachfragen beispielsweise vor allem auf wichtige Gespräche, etwa mit Ärztinnen und Ärzten, beim Stadtführer dagegen verzichtet er darauf – obwohl er ihn bezahlt hat:

„Beim wichtigen Treffen würde ich dann schon fragen. Aber […] wenn der Stadtführer was erzählt, mein Gott, wenn ich die Hälfte nur verstanden habe, reicht auch. So ungefähr. Dann muss ich den nicht noch darauf aufmerksam machen: Ich höre anders, ich höre nicht so gut, müssen Sie mal ein bisschen deutlicher reden oder sauberer.“
(Jürgen I.* | 69 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int05, Pos. 1753)

Sich vor anderen Menschen als schwerhörig zu „outen“ und für die eigenen (Hör-)Bedürfnisse einzutreten, kostet einige Überwindung – viele Betroffene wollen einfach „normal“ sein und keine „Extra-Wurst“ gebraten bekommen:

„Weil dann müsste ich ja anfangen, auf der Mitleids-Schiene zu fahren, dass sich das jeder einprägt [dass ich schwerhörig bin] und dann – (jammert laut) oah, hei-ti-tei! Ich will ganz normal leben. Ich will nicht […] bevorzugt werden oder sonst irgendwas. Ganz normal.“

(Stephan N.* | 43 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int10, Pos. 267-272)

 

Verstecken ist einfach – hat aber seinen Preis

Schwerhörigkeit ist eine nicht sichtbare Behinderung – ohne Hörgeräte, aber auch mit Hörgeräten, da diese heutzutage meist klein und unauffällig gestaltet sind (nicht zuletzt, weil sich viele schwerhörige Menschen unsichtbare Geräte wünschen, siehe auch Kapitel Einstellung zu Hörgeräten). Hör-Probleme lassen sich also gut verbergen – das hat allerdings seinen Preis, wie Hörakustiker A2 beschreibt:

„Die Schwerhörigkeit teilt sich immer drei Abschnitte: Der erste Abschnitt, [da] zieht man [die Hör-Probleme] noch ins Lächerliche. Nach dem Motto: Du, ich war mit meinen Gedanken ganz woanders – was hast du gesagt?
Dann kommt Phase zwei, das ist Monte Carlo. Dann sagt man nämlich – ja, ja, nein, nein – streng nach Zufalls-Prinzip.
Und die dritte Phase ist, man zieht sich dann von den Leuten zurück.“
(Hörakustiker A2 | Int21, Pos. 155-157)

 

Folgen des Rückzugs

Vor allem dann, wenn die Schwerhörigkeit unversorgt bleibt, wird es über die Zeit immer anstrengender und anfälliger für Fehler, die Hör-Probleme im Alltag zu kompensieren und zu verbergen, weshalb sich manche Betroffene dann aus mehr und mehr sozialen Situationen zurückziehen (siehe auch Kapitel Motivation für Hörgeräte).

 

Die 60-jährige Susanne A.* war in dieser letzten Phase, der sozialen Isolation, angekommen. Weil sie immer weniger mit anderen Menschen geredet hatte, wurde ihr Wortschatz mit der Zeit kleiner und ihr fielen dann viele Worte nicht mehr ein, wenn sie doch einmal mit jemandem reden wollte. Ihre Kommunikations-Fähigkeiten waren schlicht eingerostet – was sie sehr erschrocken hat, als ihr das bewusst wurde.

Mehrere wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass unversorgte Schwerhörigkeit auf lange Sicht den Abbau kognitiver Fähigkeiten begünstigen kann.

Fragt man Susanne A.* heute, was sie jemandem sagen würde, der gerade bemerkt, dass er schwerhörig wird, antwortet sie:

„Ich würde ihm auf jeden Fall von mir erzählen, dass ich desinteressierter geworden bin, dass ich Sprache verloren habe. Man verliert Kommunikation zu anderen irgendwie. Man zieht sich zurück. Es ist wirklich so, man zieht sich zurück, weil man sich nicht anstrengen möchte. Weil man weiß, es ist anstrengend und das will man nicht. Und Kommunikation verlieren ist ganz schlimm.“
(Susanne A.* | 60 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int01, Pos. 77-78)

Der Rückzugs-Prozess und das zunehmende Desinteresse waren bei ihr so schleichend gekommen wie die Schwerhörigkeit selbst:

„Und ich hab dann einfach nachher abgeschaltet und hab gedacht, redet doch, wenn’s was Wichtiges ist, werdet ihr’s mir schon noch sagen. Und das ist aber gefährlich, weil ich bin ja da über Jahre reingerutscht. Das ist ja nicht von jetzt auf gleich passiert. Man interessiert sich nicht mehr so. Man wird auch im Alltag – weiß ich nicht – na wenn ich’s nicht mitbekomme, bekomm ich’s nicht mit. Wenn ich den Fernseher nicht verstehe, versteh ich ihn eben halt nicht.“
(Susanne A.* | 60 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int01, Pos. 57)

Unterdessen geht sie offener und offensiver mit ihrer Schwerhörigkeit um, trägt ihre Hörgeräte regelmäßig und fühlt sich wieder „einfach so mehr mitten im Leben wieder“. Es war für sie allerdings ein langer Weg gewesen, das Hören wieder neu zu lernen (warum man bei unversorgter Schwerhörigkeit das Hören über die Zeit „verlernen“ kann, siehe Kapitel Hörgeräte-Anpassung – Beratungsgespräch).

 

*Die Namen der Interviewten wurden geändert.

 

Weitere Infos / Zum Weiterlesen

In diesem Übersichts-Artikel zu Schwerhörigkeit im Alter werden die in diversen Studien gefundenen Zusammenhänge zwischen (unversorgter) Schwerhörigkeit und kognitiven Einschränkungen noch etwas näher erläutert unter dem Abschnitt „Geriatrische Aspekte und mögliche Assoziationen zu Folgeerkrankungen“.

 

Löhler, Jan; Cebulla, Mario; Shehata-Dieler, Wafaa; Volkenstein, Stefan; Völter, Christiane; Walther, Leif Erik (2019): Schwerhörigkeit im Alter – Erkennung, Behandlung und assoziierte Risiken. In: Deutsches Ärzteblatt 116, S. 301-310.

 

Link zum Artikel: https://www.aerzteblatt.de/archiv/206888/Schwerhoerigkeit-im-Alter-Erkennung-Behandlung-und-assoziierte-Risiken
(zuletzt geprüft: 28.06.2022)

 


 

 

 

 

Grafiken und Diagramme:

Kommunikations-Strategien „Aktive Strategien“

Abbildung 1:
Kommunikations-Strategien „Aktive Strategien“

Kommunikations-Strategien „Reaktive Strategien“

Abbildung 2:
Kommunikations-Strategien „Reaktive Strategien“

Kommunikations-Strategien „Zwei Sinne Prinzip – Sehen und Hören“

Abbildung 3:
Kommunikations-Strategien „Zwei Sinne Prinzip – Sehen und Hören“

Kommunikations-Strategien „Kontraproduktive Strategien“

Abbildung 4:
Kommunikations-Strategien „Kontraproduktive Strategien“


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