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Einfluss der Angehörigen

Angehörige können motivieren, Hörprobleme anzugehen 

Die 90-jährige Waltraud R.* erzählte uns im Interview, dass sie in vielen Gesprächen auch ohne Hörgeräte noch gut verstehen kann – für die hohe Stimme ihrer Urenkelin brauchen ihre Ohren aber Unterstützung: 

Wenn wir jetzt irgendwie in der Familie zusammenkommen, das ist klar, da mach ich die [Hörgeräte] rein. Denn gerade die Urenkelin, die Kinder sprechen anders. Höher. Und da muss man sich dann konzentrieren, da geht’s ja auch dann bisschen durcheinander. Und da ist es dann angebracht, wenn man ein Hörgerät drin hat.“ 
(Waltraud R.* | 90 Jahre | trägt HG gelegentlich | Int18, Pos. 204) 

 

Sich mit ihren Angehörigen gut verständigen zu können, ist für viele der Interviewten eine wichtige Motivation, Hörgeräte zu tragen. Dabei geht es unter anderem darum, Missverständnisse zu vermeiden, die die Beziehung belasten können:  

„Und mein Mann, wenn der spät von der Schicht kam, dann war das erste, zum Fernseher gehen und den Fernseher leiser drehen. Und dann hat er manchmal irgendwie gelacht, da sagt er, du lachst ja gar nicht, bist du böse? Ich sage, na ich weiß doch gar nicht, worüber du jetzt lachst. Und dann sagt er, musst zum Arzt gehen.“ 
(Renate H.* | 77 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int12, Pos. 13) 

 

Da Schwerhörigkeit oft schleichend kommt, bemerken die Angehörigen sie manchmal eher als die Betroffenen selbst. Häufig sind es dann auch der Partner, die Partnerin oder andere Familien-Mitglieder, die den ersten Impuls geben, Hörgeräte zu erwerben. Im AutaRK-Fragebogen hatten dies 42,9 % der Befragten angegeben (siehe auch das Kapitel Motivation für Hörgeräte). Die 74-jährige Ingeborg B.* glaubt nicht, dass sie sich ohne Motivation durch ihre Lebens-Partnerin bereits aufgerafft hätte, ihre Hörprobleme aktiv anzugehen: 

„Also selber ist das, glaube ich, wirklich schwierig. Ob man sichs nicht so eingestehen will und immer sagt, der andere spricht nur so leise oder nuschelt nur, das kann gut sein. Aber ich glaube, man braucht so nen Anstoß zu sagen, mach mal. […] Der Partner, wenn man einen hat, ist, glaube ich, auch wichtig dabei. Dass er einem wirklich sagt, auch Mut macht und so. Dass man also da nicht zu zeitig aufgibt. Doch, das glaub ich, dass das wichtig ist.“ 
(Ingeborg B.* | 74 Jahre | bekommt erstes HG angepasst | Int02, Pos. 351-353) 

Ähnlich ging es dem 43-jährigen Stephan N.:  

„Also ich wäre auch nicht zum HNO-Arzt gegangen, hätte ich keinen Arsch-Tritt von meiner Freundin gekriegt. Dieses ständige: Was? Fragen, wie bitte? Weil man’s nicht verstanden hat oder weil der Schall ganz woanders hin geht. 
Häufig war das Problem im Treppenhaus, wenn sie vor mir gelaufen ist, hat was gesagt, gefragt und von mir kam einfach keine Reaktion. Und dann bin ich, wie gesagt, zum HNO-Arzt gegangen, hab testen lassen und hab mir dann die Dinger verschreiben lassen.“ 
(Stephan N.* | 43 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int10 B15, Pos. 1-2) 

 

Zu viel oder zu wenig Druck 

Wenn schwerhörige Menschen von ihrer Familie dazu aufgefordert werden, sich Hörgeräte verschreiben zu lassen bzw. sie dann auch zu tragen, ist das allerdings nicht in jedem Fall motivierend. Wird – aus Sicht der Betroffenen – zu viel Druck auf sie ausgeübt, kann das auch dazu führen, dass sie abwehren und „zumachen“: 

„Ich geh auf niemanden zu und sage ihm, schaff dir doch ein Hörgerät an, das mach ich nicht. […] Wenn wir auf das Gespräch kommen würden, sicher. Aber ich würde nie den Anfang machen. Weil ich denke, ich wollte auch nicht von den anderen überredet werden. 
Solange jemand permanent auf mich eingeredet hat, hab ich ja auch zugemacht. Also ich geh so von mir aus, denn wenn jemand unbedingt was von mir will, mache ich zu, ja? Was mir nicht passt, sagen wir mal so. 
Ich brauche lange, eh ich mich mit diesem Gedanken anfreunden kann. Das arbeitet ja trotzdem. […] Und irgendwann hab ich ja dann auch gemerkt, so geht’s eigentlich nicht weiter.“
 
(Susanne A.* | 60 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int01, Pos. 147) 

 

Praktisch allen Betroffenen, die wir im AutaRK-Projekt interviewt haben, ist es zunächst schwergefallen, zu akzeptieren, dass sie schwerhörig sind – und es hatte jeweils einige Zeit gedauert, sich „mit diesem Gedanken anzufreunden(siehe auch das Kapitel Einstellung zu Hörgeräten). Manche berichten, dass sie erst einen konkreten Anlass gebraucht hatten, um selbst einzusehen, dass es mit den Hörproblemen so nicht weitergehen kann. Bei der im Senioren-Rat tätigen Ingrid P.* war das auslösende „Schock-Erlebnis“ etwa eine wichtige Sitzung im Stadtrat gewesen, bei der sie kaum hatte folgen können: 

„Ich bin ja freiwillig [zum HNO-Arzt] hingegangen, einfach, weil ich diese eine fürchterliche Sache hatte: Ich versteh den nicht, den Herrn, der redet da vorne ganz wichtige Sachen […] und du sitzt hier da und verstehst nichts. Da war ich so fertig. Bin nach Hause, sage, jetzt muss was passieren. Und es ist manchmal so, man braucht irgendein Schock-Erlebnis.“ 
(Ingrid P.* | 82 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int17, Pos. 602)

 

Für Angehörige ist es häufig ein Balance-Akt, den Betroffenen einerseits genug Raum zu geben, bis sie an solch einen Punkt kommen, und Verständnis für ihre Situation zu haben, andererseits aber „dran zu bleiben“ und dem schwerhörigen Familien-Mitglied nicht so viel abzunehmen, dass es gar keinen Grund mehr zum selber Hören und für sich Eintreten hat – wenn der gut hörende Partner, die Partnerin etwa zum „Ohr“ des Betroffenen wird, das jederzeit einspringt, sobald Hörprobleme auftreten.

Konflikte, die durch häufiges Nachfragen und hör-bedingte Missverständnisse entstehen, frustrieren oft beide Seiten. Das verschärft sich noch, wenn die Familie sich finanziell an der Anschaffung der Hörgeräte beteiligt hat und sie dann nicht getragen werden:  

„Und es regt auch die Familie auf, ja. Also meine Mutter hatte mir die ersten Hörgeräte finanziert, weil ich kein Geld hatte. Und da hat die also schon ne Menge Geld ausgegeben. Die hat sich natürlich schwarz geärgert, als ich die Dinger ja dann nachher letzten Endes doch nicht getragen habe. 
Die hatte auch Hörgeräte und die hat also immer gesagt, so geht das nicht weiter, ne? Weil ich immer dasaß und fünfmal nachgefragt habe. Und das lässt man dann. 
(Sabine E.* | 70 Jahre | trägt HG in best. Situationen | Int11, Pos. 51) 

 

Oft hilft es bei Konflikten rund um Schwerhörigkeit, wenn die Familien-Mitglieder darüber informiert sind, wie sich die Hörprobleme im Alltag auswirken und was sie selber tun können, damit sie besser verstanden werden. Solche Informationen können teilweise von den Hörakustikerinnen und -Akustikern vermittelt werden (siehe unten). Idealerweise geht der oder die Betroffene selbst offen mit ihren (Hör-)Problemen und Bedürfnissen um, teilt mit, was gerade gebraucht wirddies kostet allerdings meist einige Überwindung. Vieles muss auch mehrfach wiederholt werden, weil die Angehörigen im Alltag nicht immer daran denken, z. B. beim Sprechen das Gesicht nicht abzuwenden und Blick-Kontakt zu etablieren (siehe auch das Kapitel Kommunikations-Strategien).

 

Fazit der Hörakustiker und -Akustikerinnen: Motivation muss von den Betroffenen selbst kommen – Angehörige sollten aber einbezogen werden 

Hörakustiker A2 hat in seinem Geschäft schon öfter Konflikte mit Angehörigen miterlebt. Wenn der Druck auf die Betroffenen zu groß ist, setzt er klare Grenzen: 

„Also ich hab hier verschiedene schon bei mir gehabt, da hatte ich das deutliche Gefühl, die sind gefesselt uns zugeführt worden. […] Wenn ich das wirklich merke, dann red ich Klartext, ja? Weil ich mach den Kindern, Enkeln klar, dass wir hier teilweise über viel Geld reden, entweder eigenes oder zumindest das aller anderen Versicherten, sprich der Solidar-Gemeinschaft. 
Und [wenn] ich das Gefühl hätte, dass ich jetzt hier meine Zeit und ihre Zeit verplempere und hinterher Schubladen-Geräte produziere, ob wir das hier wirklich weiterführen wollen.
 
(Hörakustiker A2 | Int21, Pos. 88-90) 

Er habe auch schon Anpassungen abgebrochen, wenn er den Eindruck hatte, dass der Kunde oder die Kundin die Hörgeräte nur erwirbt, um endlich Ruhe zu haben, aber keinen eigenen Antrieb hat, sie später auch zu tragen: 

Wissen Sie, der Ruf, […] der hat mich weggeschickt, weil der Opa eigentlich nicht wollte, das ist für mich die bessere Werbung, als der hat meinem Opa mit der Brechstange was verkauft.“ 
(Hörakustiker A2 | Int21, Pos. 92) 

 

Auch Hörakustikerin A1 betont, dass die Motivation, besser hören zu können, von den Betroffenen selbst kommen muss: 

„Also von außen kommen meistens mehr die Probleme, dass der Ehepartner oder die Kinder sagen, sag mal, du hörst schwer. Selber sagen die meisten, ach, im großen Ganzen klappt’s noch ganz gut. Und wenn sie dann ein Hörgerät bekommen und das klingt auf einmal alles anders, im Vergleich dazu wie’s vorher war, wo sie ja eigentlich gut zurechtkommen, sagen sie dann irgendwann, ach, naja, dann brauch ich’s auch nicht immer nehmen und dann landet's irgendwie in der Schublade. […] Wenn der Leidensdruck für die Person selber so groß ist, dass sie sagen, ich will ne Veränderung oder ich brauche das Hörgerät, dann kommen die meistens auch mit Umwelt-Geräuschen und mit hellen Klängen gut zurecht, weil sie ja dann Sprache besser hören. 
(Hörakustikerin A1 | Int20, Pos. 14-18) 

 

Um als schwerhöriger Mensch so gut wie möglich hören zu können, müssen die Hörgeräte gut auf die individuellen Hör-Bedürfnisse eingestellt sein. Ein Hörgerät dementsprechend anzupassen und sich an das neue Hören damit zu gewöhnen, bedeutet für die Betroffenen einen gewissen Aufwand (siehe auch die Kapitel Hörgeräte-Anpassung und Audio-Therapie). Die besten Hör-Ergebnisse erzielt man also, wenn die betroffene Person selbst motiviert ist, besser zu hören. Das macht es auch erheblich wahrscheinlicher, dass die angepassten Hörgeräte am Ende regelmäßig getragen werden. 

Alle drei interviewten Hörakustiker und -Akustikerinnen betonen aberdass Angehörige bei der Hörgeräte-Anpassung und bei der Gewöhnung an das Hörgerät eine positive, unterstützende Rolle spielen können, vorausgesetzt 

  • sie haben eine tragfähige Beziehung zum / zur Betroffenen, 

  • sie motivieren, üben aber nicht zu viel Druck aus, 

  • sie sind geduldig und haben ausreichend Zeit, ihr schwerhöriges Familien-Mitglied beim Anpassungs- und Gewöhnungs-Prozess zu begleiten

 

Sie können für die schwerhörige Person auch eine Hilfe sein, die vielen Informationen aufzunehmen, die bei der Erst-Anpassung eines Hörgerätes vermittelt werden müssen (siehe auch das Kapitel Nutzung gedruckter Informationen). Das ist einer der Gründe, warum Hörakustiker A2 es für sehr sinnvoll hält, Angehörige bei der Anpassung mit einzubeziehen – insbesondere dann, wenn zum ersten Mal Hörgeräte angepasst werden: 

„Vier Ohren hören und merken sich mehr als zwei. Ich portioniere meine Informationen schon immer, dass ich nicht alles mit einem Mal ablade. Trotzdem ist bewusst, dass ich sehr viel an Informationen rüberbringen muss. 
Und wenn da jemand von der Familie mit dabei ist und zuhause kommt die Frage, ja, ah, wie war denn das mit dem Ausschalten? Ach, guck doch mal hier unten, da ist doch diese Batterie-Klappe. Ach, ja, jetzt weiß ichs auch wieder, ja?
 
(Hörakustiker A2 | Int21, Pos. 117) 

 

Darüber hinaus muss sich nicht nur der oder die Betroffene selbst, sondern auch die Angehörigen müssen sich daran gewöhnen, dass ihr Familien-Mitglied jetzt anders hören wird: 

Der Schwerhörige hat seine Familie über Jahre dahingezüchtet, laut zu sprechen, teilweise zu schreien. Weil anders sind sie ja nicht zu ihm durchgekommen. So, wenn der jetzt vierzig Dezibel Verstärkung im Ohr hat und da schreit wieder einer von der Familie, wie ers gewohnt war, dann springt er aus dem Fenster, ja? […] 
Das sind alles solche Sachen, wo ich die Leute drauf hinweise, weil, den meisten ja, woher auch ist das nicht bewusst, dass jemand mit ner Schwerhörigkeit lärm-empfindlicher ist als ein normal Hörender und solche SachenDeswegen, das ist mit einer der ganz wichtigen Punkte, weshalb ich die Familie, die Angehörigen mit dabeihaben möchte. 
(Hörakustiker A2 | Int21, Pos. 118-120) 

Auch Hörakustiker A3 versucht, die Familien seiner Kunden und Kundinnen beim Anpassungs-Prozess mit einzubeziehen und deren Situation besser verständlich zu machen – etwa, indem er den Hörverlust für die normal-hörenden Familien-Mitglieder per Simulation erlebbar macht: 

„Wir haben in unserer Messtechnik-Ausstattung zum Beispiel Hörverlust-Simulatoren, wo wir das Audiogramm der vor uns sitzenden Person nutzen können, und können ne Simulation der Auswirkung des Hörverlustes den Angehörigen beispielsweise aufzeigen. Das trägt dann, wenn das gemeinsam erlebt wird, auch oft dazu bei, dass die Motivation steigt, weil ein anderes Verständnis da ist.“ 
(Hörakustiker A3 | Int23, Pos. 31) 

 

* Die Namen der Interviewten wurden geändert. 

Weitere Infos / zum Weiterlesen 

Der deutsche Schwerhörigenbund e. V. (DSB) hat einen Ratgeber für schwerhörige Menschen und deren Angehörige herausgegeben mit vielen Tipps, wie man einander im Alltag besser verstehen kann. 
 

Irmgard Schauffler, Norbert Böttges (2017): Tipps für schwerhörige und gut 
hörende Menschen im Umgang miteinander. Berlin.

Link: https://www.schwerhoerigen-netz.de/fileadmin/user_upload/dsb/Dokumente/Information/Service/Ratgeber/Ratgeber2_Tipps_fuer_den_Umgang_miteinander.pdf (zuletzt geprüft: 27.06.2022). 

 

 


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