Hörgeräte
Im AutaRK-Fragebogen konnten die Befragten angeben, seit wann sie Hörgeräte tragen, ob sie ein Hörgerät für ein Ohr oder für beide Ohren haben und wie häufig sie ihre Hörgeräte tragen.
Die Daten ergaben, dass die Befragten mit durchschnittlich 63 Jahren (Standardabweichung: 15 Jahre) die ersten Hörgeräte erworben haben. Ein Hörgerät für beide Ohren haben 94 % (n = 159) der Befragten und 82 % (n = 139) der Befragten gaben an, „Hinter-dem-Ohr“ – Geräte zu tragen.
Zum Zeitpunkt der Befragung waren die Befragten seit durchschnittlich 11 Jahren (Standardabweichung: 11 Jahre) Hörgeräte-Tragende. „Hörgeräte-Neulinge“ mit einer Tragedauer von einem Jahr und weniger waren 17 % (n=29) der Befragten. Die Hörgeräte zur Probe trugen zum Zeitpunkt der Befragung lediglich 2 % (n = 4) der Befragten.
31 % (n = 53) der Befragten probierten drei Hörgeräte-Typen aus, 29 % (n = 50) zwei Hörgeräte-Typen und 10 % (n = 17) gaben an, einen Hörgeräte-Typen ausprobiert zu haben.
Als Dauer für das Probe-Tragen der Hörgeräte wurde von 24 % (n = 40) der Befragten zwei Wochen genannt, gefolgt von vier Wochen von 15 % (n = 25) der Befragten und drei Wochen von 9 % (n = 15) der Befragten.
Im Hinblick auf die Tragedauer gaben 80 % (n = 135) an, ihre Hörgeräte jeden Tag zu tragen. Ihre Hörgeräte nur in bestimmten Situationen wie z. B. zum Fernsehen tragen 19 % (n = 32) der Befragten und lediglich 1 % (n = 2) tragen ihre Hörgeräte nie.
Bei denjenigen Befragten, die ihre Hörgeräte jeden Tag tragen, ergab sich eine durchschnittliche Tragedauer von 11 Stunden (Standardabweichung: 3 Stunden).
Ergebnisse zu den Faktoren, die das regelmäßige Tragen von Hörgeräten positiv beeinflussen, finden sich im Kapitel Förder-Faktoren.
Rund ums Hörgerät – Fragebogen-Daten im Überblick
Datengrundlage für die Auswertung sind die N = 170 Teilnehmenden zwischen 55 und 94 Jahren. In den Tabellen 1 und 2 sind die Angaben der Befragten zu den verschiedenen Aspekten zusammengefasst (siehe Abbildungen rechts oder Tabellen als PDF-Dokument).
Rund ums Hörgerät – aus den qualitativen Daten
Auch die Betroffenen in den qualitativen Interviews tragen ihre Hörgeräte größtenteils täglich über mehrere Stunden. Sechs der Interviewten tragen ihre Hörgeräte ab und zu bzw. nur in bestimmten Situationen, wobei Trage-Dauer und Häufigkeit solcher Situationen unterschiedlich ausfallen. Einer der Interviewten trug seine Hörgeräte fast nie.
Der geringe Anteil an Teilnehmenden, die ihre Hörgeräte nicht oder nur selten tragen, hängt sowohl im qualitativen als auch im quantitativen Untersuchungs-Teil unter anderem damit zusammen, dass Menschen, die es ablehnen, Hörgeräte zu tragen oder sich mit Schwerhörigkeit auseinander zu setzen, nur sehr schwer für die Teilnahme an Untersuchungen zu diesen Themen zu gewinnen sind.
Im Weiteren soll anhand von Auszügen aus den Interviews erläutert werden, warum es nicht zu den besten Hör-Ergebnissen führt, wenn man die Hörgeräte nur in bestimmten Situationen trägt, warum man vor dem Kauf eines neuen Hörgerätes mehrere Geräte ausprobieren sollte und wie Hör-Tagebücher dabei eine Unterstützung sein können.
Warum Hörgeräte nur in bestimmten Situationen zu tragen
selten zu guten Hör-Ergebnissen führt
Der 82-jährige Werner M.* erwähnte im Interview mehrfach, dass ihm sein Hörgerät nichts bringe:
„Also ich hab das Gefühl, es hilft mir nicht, vor allen Dingen in diesen kritischen Situationen, wo es darum geht, mehrere Gesprächs-Partner [zu verstehen]. Da kann ich sagen, ob ich das nun eingesetzt hab oder nicht, ist für mich ohne Belang. […]
Ich hab am Anfang – ich hab das jetzt seit knapp drei Jahren – hab ich das recht häufig bei mir gehabt. Hab aber gemerkt, das bringt nichts. Das schleppt man nicht rum, wenn’s nix bringt. Dann mache ich das nur ab und zu mal, wenn ich denke, es könnte vielleicht bissel was bringen, dann hab ich’s mit.“
(Werner M.* | 82 Jahre | trägt HG ab und zu | Int09, Pos. 33-39)
Er hatte sein Hörgerät von Beginn an ausschließlich in schwierigen Hörsituationen wie z. B. in Gruppen-Gesprächen eingesetzt (mehr dazu in Kapitel Hörsituationen im Überblick), da er ansonsten im Alltag noch ohne Hörgerät zurechtkommt.
Hörakustiker A3 sind solche Aussagen vertraut. Er schaut dann zuallererst auf seinem Computer, wo er sehen kann, wie häufig ein Hörgerät getragen wurde:
„So ne Aussage stellen wir bei uns immer im Kontext zum sogenannten Data-Logging der Geräte. Das heißt, wir gucken, wie ist der Nutzungs-Grad? Und es ist häufig so, dass Kunden, die die Geräte selten oder nur anlass-bezogen nutzen, genau dieses Feedback mitbringen.
Und dann ist es an uns, darauf hinzuweisen, dass das Hör-Zentrum im Gehirn […] nur leisten kann, wenn man an die Geräte gewöhnt ist und das Hören mit den Geräten gewöhnt ist. Und da ist der Schlüssel: Einfach nur den Nutzungs-Grad hochzukriegen.
Oder man hat’s mit Geräten zu tun, die das nicht leisten können oder nur in einem geringen Umfang leisten können. Das wären dann eher ältere oder technisch sehr einfache Geräte, die eben nicht in der Lage sind, Sprache von Stör-Lärm zu trennen und Sprache in den Vordergrund zu rücken. Stör-Geräusche unterdrücken können die alle, aber hier kommt’s darauf an, das voneinander zu trennen.“
(Hörakustiker A3 | Int23, Pos. 227-231)
Wie vielen schwerhörigen Menschen und deren Angehörigen war Werner M.* nicht bewusst, dass Hörgeräte nicht wie eine Brille beim ersten Aufsetzen sofort optimal funktionieren, sondern dass man sich an das neue Hören erst gewöhnen muss (siehe auch Kapitel Hörgeräte-Anpassung – Beratungsgespräch).
Warum es wichtig ist, verschiedene Hörgeräte auszuprobieren
Die meisten Hörakustikerinnen und -Akustiker bieten ihren Kunden und Kundinnen vor dem Kauf eines Hörgerätes an, mehrere Hörgeräte jeweils nacheinander eine Zeit lang mit nach Hause zu nehmen und zur Probe zu tragen, bevor sie sich dann für eines davon entscheiden. Der 78-jährige Peter J.* hatte dieses Angebot seiner Hörakustikerin ausgeschlagen:
„Das hat sie wohl auch angeboten. Da habe ich gesagt, das ist so’n teures Gerät, dann wird’s ja gehen.“
(Peter J.* | 78 Jahre | trägt HG fast nie | Int06, Pos. 149-150)
Er ist mit seinen Hörgeräten sehr unzufrieden und trägt sie seit mehreren Jahren fast gar nicht. Das teuerste Gerät muss nicht für jeden Betroffenen zwangsläufig die besten Hör-Ergebnisse bringen. Die 90-jährige Waltraud R.* erklärt, warum sie mehrere Geräte ausgetestet hat:
„Es kommt ja immer auf den Betreffenden an: Wie kommt der mit dem Gerät zurecht? Und aufgrund dessen haben Sie erstmal die Auswahl und können [die Hörgeräte] einige Zeit tragen und können sich dann entscheiden, welches Sie der Meinung sind, dass es für Sie am besten ist.
Denn das kann ja auch der Akustiker nicht feststellen. Obwohl der da sehr gute Geräte hat, aber letztendlich muss der Patient dann entscheiden, welches Gerät, wo hör ich am besten? Und so haben wir das gemacht. [...] Also das kann einem keiner vermitteln und kann sagen, nimm das Gerät, das ist gut. Das kann gut sein, aber für mich nicht, ja?“
(Waltraud R.* | 90 Jahre | trägt HG gelegentlich | Int18, Pos. 27-30)
Hörakustiker und -Akustikerinnen können eine Auswahl von Geräten vorschlagen, die zum gemessenen Hör-Verlust und zu den von den Kundinnen und Kunden geäußerten Bedürfnissen passen. Die Bedingungen im Hör-Test sind allerdings nicht die gleichen wie im Hör-Alltag (siehe auch Kapitel Tele-Hören).
Wie gut sich ein Hörgerät im Alltag anhört oder anfühlt, wie gut man damit in unterschiedlichen Situationen Sprache versteht und wie gut auch die tägliche Bedienung von der Hand geht – all das können die Betroffenen selbst am besten beurteilen, wenn sie die Hörgeräte dort ausprobieren, wo sie später auch tatsächlich zum Einsatz kommen sollen.
Ähnlich wie in der Fragebogen-Befragung war die Zahl der ausprobierten Geräte sowie die Dauer der Probe-Zeit unter den Interviewten unterschiedlich. Meistens aber waren es drei Geräte, die jeweils für ein bis zwei Wochen nachhause mitgegeben wurden. Besonders lange hatte Angelika O.* ihre Hörgeräte getestet, als sie noch als Lehrerin gearbeitet hatte – in einem Fall hatte die Test-Phase sogar fast ein Jahr gedauert:
„Gerade, weil ich auch die unterschiedlichsten Klassen hatte. Ich hatte ne erste Klasse, die reagiert anders […] als ne fünfte oder ne siebente Klasse. Ich hab unterschiedliche Situationen – ob ich nun mit denen im Museum bin oder ob ich mit denen draußen auf’m Schulhof bin oder in der Straßenbahn oder sonstwo. Das muss ich also auch in diesem Bereich testen.
Ja, da hat [mein Hörakustiker] zwar manchmal gemault, aber er hat’s dann nachher auch, beim zweiten und dritten [Hörgerät] hat er’s dann auch eingesehen und die Zeit haben sie mir auch immer gegeben.“
(Angelika O.* | 65 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int13, Pos. 557-558)
Andere Interviewte testeten ihre Probe-Hörgeräte in Situationen wie z. B. Familien-Treffen oder Restaurant-Besuchen, beim Auto-Fahren mit und ohne Radio, auf dem Fahrrad, beim Einkaufen, im Konzert, im Gottesdienst, beim Telefonieren oder auch beim Fernsehen. Erfahrene Hörgeräte-Träger und -Trägerinnen wissen meistens, in welchen Alltags-Situationen (in Beruf, Freizeit, Ehrenamt usw.) es ihnen besonders wichtig ist, gut zu hören. Idealerweise sollten sich auch Hörgeräte-Neulinge vor der ersten Hörgeräte-Anpassung darüber Gedanken machen (siehe auch Kapitel Hörgeräte-Anpassung – Beratungsgespräch).
Sowohl die Betroffenen als auch die Hörakustikerinnen und -Akustiker, die wir interviewt haben, berichten von Problemen während der Corona-Pandemie, weil viele sonst alltägliche Hörsituationen nicht stattfanden und entsprechend auch nicht mit Hörgerät ausgetestet werden konnten.
Das Hör-Tagebuch: Eine Hilfe beim Hörgeräte-Test
Beim Testen der Hörgeräte bekommt man üblicherweise immer nur ein Paar mit nach Hause, probiert sie eine Zeit lang in möglichst vielen Hör-Situationen aus, die einem wichtig sind – dann gibt man die Geräte wieder im Hörakustik-Fachgeschäft ab und bekommt das nächste Paar zum Probieren.
Audio-Therapeutin T1 empfiehlt, während der gesamten Test-Phase ein „Hör-Tagebuch“ zu führen, um die Eindrücke von den jeweiligen Geräten nicht zu vergessen und am Ende eine wirklich informierte Entscheidung treffen zu können:
„Sie müssen sich ne Tabelle anlegen mit allen Situationen, die für Sie wichtig sind, in ein paar freien Zeilen. Und dann in die Spalten die Hörgeräte: Hörgerät eins – möglichst dann aufschreiben, welches das ist – und da sich genau eintragen: Wo’s funktioniert hat und wo nicht und was Sie verstanden haben, wo Sie verstehen konnten und wo nicht. […]
Wenn man beim vierten Hörgerät ist, weiß man nicht mehr, wie das erste, zweite und auch das dritte waren, ja? Und da ist es vielleicht hilfreich, dass man dann, bevor man sich entscheidet, nochmal auf ein Hörgerät kommen kann, wo man in den Notizen sieht, damit bin ich relativ gut klargekommen.“
(Audio-Therapeutin T1 | Int30, Pos. 25)
Von den interviewten Betroffenen war nach eigenem Bekunden niemand zum Führen eines Hör-Tagebuches aufgefordert worden – bis auf eine Ausnahme. Dieser Interviewten war allerdings nicht von ihrem Hörakustiker dazu geraten worden, sondern von einer selbst schwerhörigen Mitarbeiterin des Integrations-Fachdiensts. Eine andere Interviewte war – „einmal Büro-Mensch, immer Büro-Mensch“ – von allein auf die Idee gekommen, ihre Eindrücke zur besseren Vergleichbarkeit systematisch zu dokumentieren.
Beide hatten mit diesem Vorgehen gute Erfahrungen gemacht und beide machten sich darüber hinaus auch noch weitere Notizen, nachdem sie sich für ein Hörgerät entschieden hatten – um ihren Hör-Akustikerinnen und -Akustikern besser rückmelden können, in welchen Hör-Situationen es mit ihren neuen Geräten noch nicht so gut funktioniert und die Einstellungen entsprechend nachjustiert werden sollten (mehr dazu siehe Kapitel Hörgeräte-Anpassung – Beratungsgespräch).
Von denjenigen, die erst während des Interviews auf die Möglichkeit, ein Hör-Tagebuch zu führen, aufmerksam gemacht worden waren, gaben einige an, das bei ihrer nächsten Hörgeräte-Anpassung machen zu wollen. Einige lehnten es aber auch ab, da aus ihrer Sicht für sie zu aufwändig oder nicht umsetzbar:
„Ich bin berufstätig. So’n Tagebuch, das kann ein Rentner führen, der die Zeit hat. Ich kann nicht zu meinem Chef gehen und sagen, äh, ich brauch jetzt fünf Minuten Pause, ich muss mal meine Eindrücke aufschreiben, damit ich meine Hörgeräte konfigurieren lassen kann. […] [Und nach Feierabend] hab ich zu viel vergessen, weil zu viel am Tag passiert.“
(Stephan N.* | 43 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int10, Pos. 102-104)
Die interviewten Hörakustikerinnen und -Akustiker geben einhellig an, ihrer Kundschaft zum Hör-Tagebuch-Führen zu raten, die Empfehlung werde aber nur von einem kleinen Teil tatsächlich angenommen (nach Schätzung von Hörakustiker A3 etwa ein Viertel). Damit sich ihre Kunden und Kundinnen trotzdem noch an die Eindrücke in den verschiedenen Hör-Situationen erinnern können, schlagen sie daher pro Hörgerät in der Regel eine Probe-Phase von einer Woche vor (aber auf jeden Fall mit Wochenende dabei) – auch wenn die Phasen je nach Kunden-Wunsch, Komplexität und Anzahl wichtiger Hör-Situationen (bei bestimmten Berufen, Hobbies usw.) auch deutlich länger sein können.
*Die Namen der Interviewten wurden geändert.