Das Hörgerät stört!
In welchen Situationen ist Ihnen das Tragen der Hörgeräte lästig oder unangenehm?
In der qualitativen Befragung schilderten uns die Interviewten auch Situationen, in denen ihnen die Hörgeräte lästig oder unangenehm waren – teilweise lästig und unangenehm genug, um die Hörgeräte über längere Zeit gar nicht mehr zu tragen oder sie sogar für immer in der Schublade zu belassen.
Am häufigsten fühlten sich die Interviewten vom Hörgerät gestört:
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wenn Geräusche mit Hörgerät unangenehm und / oder zu laut sind
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wenn die Hörgeräte drücken, jucken, nicht richtig sitzen
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wenn man gleichzeitig Brille, Corona-Maske usw. an den Ohren trägt
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bei Gartenarbeit, handwerklichen Tätigkeiten und beim Sport
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bei Wind und allem, was mit Wasser zu tun hat
- wenn die Routine fehlt, Hörgeräte zu tragen
Im Folgenden sollen diese unangenehmen und lästigen Situationen mit Hörgerät etwas näher erläutert werden.
Geräusche sind unangenehm / zu laut
Auch wenn es im ersten Moment paradox klingen mag, Schwerhörigkeit geht oft damit einher, dass die Betroffenen empfindlicher für laute Geräusche sind als Normal-Hörende. Sich dauerhaft in lauten Umgebungen aufzuhalten, bedeutet für die meisten schwerhörigen Menschen Stress. Aus diesem Grund gehen viele auch nicht mehr in laute Konzerte, nehmen ihre Hörgeräte heraus, wenn sie staubsaugen, rasenmähen oder sie bitten um Verständnis, wenn sie bei der Geburtstags-Feier in einer lauten Gaststätte nicht so lange bleiben (siehe auch Kapitel Kommunikations-Strategien). Um den Stress durch laute Geräusche zu verringern, können die Betroffenen selbst oder ihre Hörakustiker und -Akustikerinnen die Hörgeräte leiser regulieren (siehe auch Kapitel Hörgeräte-Anpassung - Beratungsgespräch).
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum schwerhörige Menschen Geräusche als zu laut empfinden, während sie ihre Hörgeräte tragen. Bleibt die Schwerhörigkeit über lange Zeit unversorgt, „verlernt“ das Gehirn, diejenigen Geräusche zu verarbeiten, die nicht mehr gehört werden können. Kommen sie durch die Hörgeräte dann auf einmal wieder im Gehirn an, können die Geräusche für Betroffene zunächst unangenehm sein und sie müssen ihr Gehirn durch regelmäßiges Tragen der Hörgeräte erst wieder daran gewöhnen.
Die 70-jährige Sabine E.* hatte lange gezögert, sich Hörgeräte verschreiben zu lassen (warum viele Betroffene damit lange zögern: siehe das Kapitel Einstellung zu Hörgeräten). Sie beschreibt hier den Moment, als sie mit ihren ersten Hörgeräten erstmalig vor die Tür des Hörakustiker-Fachgeschäfts getreten ist:
„Also das war ne Katastrophe. […] Ich bin da rausgekommen, da fuhr die Straßenbahn vorbei. Ich hab nen richtigen Schlenker gekriegt. Ich hab nen richtigen Schlenker gekriegt und hab gedacht, Gottes Willen, was ist denn hier los? […] So bestimmte Dinge, die waren so schlimm, das war unerträglich. Unerträglich.“
(Sabine E.* | 70 Jahre | trägt HG in bestimmten Situationen | Int11, Pos. 64)
Der Hör-Stress war ihr neben dem beruflichen Stress damals zu viel, weshalb sie ihre ersten Hörgeräte dauerhaft in die Schublade verbannte:
„Mir wurde von dem HNO-Arzt ermutigend gesagt, die Gewöhnungs-Phase dauere ein Vierteljahr. Ich solle die Geduld nicht verlieren. Ich habe das Vierteljahr nicht durchgestanden: Zu meinem beruflichen Stress kam dann dieser Stress mit den Hörgeräten noch dazu. Die Hörgeräte landeten in der Schublade. Und dort blieben sie für immer.“
(Sabine E.* | 70 Jahre | trägt HG in bestimmten Situationen | DJ02, Pos. 56-57)
Dem Hörakustiker A2 begegnen Fälle wie Sabine E.* in seinem Geschäft regelmäßig:
„Jetzt ist das [Verlernen des Hörens] alles etwas, was sich im Laufe der Zeit allmählich aufbaut. Und wenn die Leute dann endlich gehen, teilweise erst nach zehn, elf Jahren, dann haben sie die Erwartung, sie hören so, wie sie jetzt die letzten Jahre gehört haben, nur deutlicher.
Und das genau funktioniert nicht,weil, um Sprach-Verständnis wieder herzustellen, muss ich ja die hellen Töne wieder verstärken und das stört die Leute. Weil sie hören anders als bisher und dann kann man also erzählen, jawohl, Ihr Gehör akklimatisiert sich dran. Man gibt ein Begleit-Schreiben mit, wo das nochmal extra fett gedruckt draufsteht, dass es eben normal ist, dass alle Dinge ein bisschen heller klingen und so weiter. Und das erste, was Sie beim Folge-Termin zu hören kriegen, das klingt ja alles viel zu hell.“
(Hörakustiker A2| Int21, Pos. 39-40)
Unterdessen trägt Sabine E.* ihre zweiten Hörgeräte regelmäßiger und empfiehlt Hörgeräte-Neulingen, Geduld zu haben:
„Nach nunmehr fast drei Jahren habe ich nun ein gutes Gefühl dabei, besser hören zu können. Aber wie bereits dargestellt, erst nach fast drei Jahren...
Aus meinen Erfahrungen heraus empfehle ich den Betreffenden, die erstmalig ein Hörgerät verschrieben bekommen: Geduld! Geduld! Geduld! Es wird!“
(Sabine E.* | 70 Jahre | trägt HG in bestimmten Situationen | DJ02, Pos. 169-171)
Drücken, Jucken, Brille und das Problem mit den Corona-Masken
Vor allem dann, wenn man zum ersten Mal Hörgeräte trägt, kann es ein ungewohntes Gefühl sein, einen Fremd-Körper im Ohr zu haben, was sich mit der Zeit aber meist bessert. Bei langem Tragen können die Gehör-Gänge mitunter aber auch jucken oder schmerzen. Wenn die Ohr-Passstücke der Hörgeräte oder (bei Im-Ohr-Geräten) die Hörgeräte selbst drücken oder nicht richtig sitzen, sollte man beim Hörakustiker oder bei der Hörakustikerin nachfragen und diese ggf. neu anpassen lassen. Die Interviews zeigten, dass Hörgeräte-Trägerinnen und -Träger oft nicht auf die Idee kamen oder sich scheuten, mit ihrem Problem ins Hörakustik-Fachgeschäft zu gehen (siehe auch das Kapitel Hörgeräte-Anpassung - Hörakustiker/Hörakustikerin).
Bei Hörgeräten, die hinter dem Ohr getragen werden, beginnen manchen Menschen durch das Gewicht der Geräte nach längerer Zeit die Ohr-Muscheln zu schmerzen – insbesondere dann, wenn sie gleichzeitig noch eine Brille und eine Corona-Maske tragen:
„Von daher trage ich meine Hörgeräte auch nicht ständig, sondern ich muss sie mal wegtun, damit die Ohr-Muschel wieder besser wird. Die Hörgeräte, die haben auch ein kleines Gewicht.“
(Jutta V.* | 78 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int28, Pos. 92)
Überhaupt finden es viele Trägerinnen und -Träger störend, sobald sich außer den Hörgeräten noch irgendetwas anderes in der Nähe ihrer Ohren befindet: Brillen, Mützen, Kapuzen, Fahrrad-Helme, bei einer Interviewten verfingen sich die Schläuche der Hörgeräte zudem regelmäßig in ihrem dichten, lockigen Haar.
„Beim Rausgehen ist es jetzt auch schwer mit der Maske, die man dann über die Ohren tragen muss. Dass man die Ohr-Hörer nicht abreißt, also ich hab sie dann immer in der Hand. Und bei uns im Haus, die eine, die hat eins verloren und ist schwerhörig […] und musste natürlich das wieder selber bezahlen. Durch diese Maske, also das ist so gefährlich, dass man sich das damit rausreißt und verliert.“
(Helga T.* | 82 Jahre | trägt HG selten | DJ06, Pos. 16)
Bei Gartenarbeit, handwerklichen Tätigkeiten und beim Sport
Angst vor Verlust der Hörgeräte gibt es auch beim Sport, bei handwerklichen Tätigkeiten sowie bei der Gartenarbeit, denn bei ruckartigen Bewegungen oder tiefem Bücken können die Geräte manchmal herausfallen. Hinzu kommen laute Geräusche (z. B. beim Rasenmähen, Hämmern, Sägen), die die Interviewten als sehr unangenehm empfinden und die oft dazu führen, dass sie die Hörgeräte bei solchen Aktivitäten nicht tragen.
Beim (Reha-)Sport wiederum kommt es öfter vor, dass die Betroffenen selbst mit Hörgeräten die Instruktionen von Trainerinnen/Trainern oder Therapeutinnen/Therapeuten nur schwer verstehen können– insbesondere in Turnhallen mit schlechter Akustik, wenn zudem noch mehrere Menschen gleichzeitig reden und Musik läuft:
„Oder z. B. beim Sport im geschlossenen Raum. Dort läuft ständig Radio im Hintergrund, dann gibt der Therapeut Anweisung für gymnastische Übungen und es ist noch ein anderer Therapeut mit Patient im Raum, dem auch Anweisungen gegeben werden. Da muss ich mich sehr konzentrieren und verstehe trotzdem oft nur die Hälfte.“
(Annegret F.* | 70 Jahre | trägt HG regelmäßig | DJ03, Pos. 267-273)
Wind und Wasser
Vor allem beim Fahrradfahren stören sich viele Hörgeräte-Träger und -Trägerinnen an lauten Wind-Geräuschen, die oft noch zusätzlich zum störenden Verkehrs-Lärm kommen. Auch das veranlasst einige Interviewte, ihre Hörgeräte in solchen Situationen nicht zu tragen. Im Straßenverkehr kann es allerdings gefährlich werden, nicht gut zu hören, wenn man z. B. von hinten herannahende Fahrzeuge nicht oder erst sehr spät wahrnimmt.
Bei der Frage, in welchen Situationen das Hörgerät unangenehm oder lästig ist, wird häufig auch Wasser thematisiert. Viele Hörgeräte sind nicht (völlig) wasserdicht und müssen getrocknet werden, wenn sie etwa durch Regen, durch Schwitzen bei körperlicher Arbeit, beim Sport oder bei Hitze feucht werden. Ein verbreitetes Missgeschick ist es, zu vergessen, die Hörgeräte vor dem Duschen herauszunehmen – zum Glück hatten die Geräte in den meisten Fällen überlebt.
Da die meisten Hörgeräte nicht im Wasser getragen werden können, haben einige stärker schwerhörige Interviewte Wassersport ganz aufgegeben, obwohl er ihnen körperlich guttun würde:
„Ich geh nicht mehr schwimmen. […] Also ich hab’s versucht, mit ner Freundin mal schwimmen zu gehen. Nun muss ich aber die Brille noch absetzen, dann sehe ich aber auch nichts mehr. Dann hör ich nichts, dann seh ich nichts und das ist ein ganz hässliches Gefühl, also auf einen anderen angewiesen zu sein. Ich hab noch nicht mal meinen Spind hinterher gefunden. Ich konnte die Nummer ja nicht lesen. Nee, das geht nicht, das. Also sowas schließe ich aus. Doch, es gibt Einschränkungen. Also alles, was mit Wasser zu tun hat. Ich war in der Reha letztes Jahr und habe gleich drum gebeten, keine Wasser-Therapie zu bekommen. Ich gehe zur Reha-Nachsorge, wieder drum gebeten, keine Wasser-Therapie, die allen gut tun beim Rücken, mir sicher auch. Aber das möchte ich eben nicht.“
(Susanne A.* | 60 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int01, Pos. 130)
Bei geringgradiger schwerhörigen Interviewten wie der 49-jährigen Sandra D.*, die gern und viel schwimmen geht und häufig Urlaub am See oder am Meer macht, führt die Wasser-Problematik stattdessen dazu, dass sie ihre Hörgeräte in den Sommer-Monaten manchmal ganz ablegt und es ihr danach schwerfällt, sie wieder regelmäßig zu tragen:
„Und das ist eben immer so, selbst wenn ich vorher angefangen hatte, es [das Hörgerät] regelmäßig zu tragen, gibt’s eben diese Phasen, also konkret Urlaub oder sehr wasserintensive Phasen, wo ich dann aufhöre und danach eben nicht wieder anfange oder halt immer nur mit so nem Impuls wieder anfange. Das ist der eine Grund, wo ich aufhöre.“
(Sandra D.* | 49 Jahre | trägt HG ab und zu | Int04, Pos. 29)
Wenn die Routine fehlt, Hörgeräte zu tragen
Die 82-jährige Helga T.*, die nach eigenem Bekunden auch ohne Hörgeräte noch ganz gut klarkommt, hat aus gesundheitlichen Gründen ein hohes Schlaf-Bedürfnis, das sie oft plötzlich überkommt, woraufhin sie sich dann schnell hinlegen muss. Ihre Hörgeräte stören sie dabei:
„Am liebsten geh ich ohne [Hörgeräte], weil ich ja auch mich oft hinlegen muss. Beim Hinlegen, ich liege immer auf ner Seite, da stört’s mich.“
(Helga T.* | 82 Jahre | trägt HG selten | DJ06, Pos. 13)
Aus diesem Grunde setzt sie die Hörgeräte vor allem in solchen Phasen, in denen es ihr gesundheitlich schlechter geht, über längere Zeit gar nicht erst ein. Ähnlich wie die im vorangegangenen Abschnitt zitierte Sandra S.* empfindet auch sie es dann als lästig, wieder mit dem Hörgeräte-Tragen anzufangen.
Warum solch ein Wiederanfang nach längerer Hörgeräte-Pause so schwerfällt, hängt auch damit zusammen, dass Hörgeräte-Tragen umso aufwändiger ist, je weniger Routine man darin hat. Interviewte, die ihre Hörgeräte täglich tragen, denken beispielsweise ganz selbstverständlich daran, immer Batterien dabei zu haben bzw. den Akku rechtzeitig zu laden, Reinigung und Pflege der Geräte geht ihnen meist leicht und schnell von der Hand. Anders sieht es aus, wenn die Betroffenen sich nach Zeiten ohne Hörgerät immer wieder neu an die Abläufe gewöhnen müssen:
„Für jemanden, der sein Gerät nicht regelmäßig trägt, ist es schwer. Weil er das immer noch als Störfaktor sieht. Aber jemand, der das [Hörgerät] akzeptiert hat und der eben halt weiß, ja, okay, nach dem Motto, wenn ich aus’m Haus rausgehe, was hab ich? Also ich brauch die Brille, ich brauch, die Hörgeräte, ich brauch nen Schlüssel, ich brauch mein Portmonee und so weiter. Früher haben wir immer gesagt, Hut, Stock, Gesang-Buch. Der weiß also, das gehört dazu.“
(Angelika O.* | 65 Jahre | trägt HG regelmäßig | Int13, Pos. 288)
Die Akzeptanz, die die langjährige Hörgeräte-Trägerin Angelika O.* hier anspricht, beeinflusst ebenfalls, wie sehr die Hörgeräte als „Störfaktor“ wahrgenommen werden (siehe auch das Kapitel Einstellung zu Hörgeräten).
Wenn die Hörgeräte stören – gibt es Lösungen?
Der Hörakustiker A3 antwortet auf unsere Frage, was er tun kann, damit die Hörgeräte weniger stören:
„Also beim Thema Schwimmbad, Schwimmen, Baden am Strand oder so würde ich so noch mitgehen. In den anderen Situationen ist es so, dass wir uns vielleicht einer Lösung nähern können. Also Wind-Geräusche beim Radfahren bleiben bis zu einem gewissen Grad ein ungelöstes Problem aktuell noch, auch wenn die Technik da viel leisten kann. […] Wenn Sie das nächste Mal mit Ihrem Fahrrad, in ner windigen Situation da über die Straßen rasen, achten Sie mal darauf, ob Sie als Normal-Hörende nicht auch so ein Wind-Geräusch-Erlebnis haben, wenn Sie sich darauf konzentrieren. Nur, dass wir ja nicht auf der Suche nach Negativ-Erlebnissen sind, die begründen, warum ich das Gerät nicht tragen soll. Das scheint mir da ne Rolle zu spielen, gerade bei den Wind-Geräuschen. Ansonsten sind viele der angesprochenen Situationen durch sogenannte individuelle Hörprogramme, die der Nutzer aktiv am Gerät einstellen kann, lösbar. Dazu müsste er aber diese Situation in der Anpassung beschreiben und auch nach erfolgter Anpassung auf den Akustiker zukommen, damit dort ne Lösung gefunden werden kann.“
(Hörakustiker A3 | Int23, Pos. 222-223)
*Die Namen der Interviewten wurden geändert.